Die Geschichte der Milibachtaube

– und ihr letztes Kapitel


Die Milibachtaube war mein Beitrag zum Jubiläumsprojekt der Schule für Holzbildhauerei Brienz. Diese Friedenstaube fand ihren Platz nicht in einem klassischen Ausstellungsraum, sondern draußen in der Natur, auf einem alten Stahlträger im Milibach. Sie sollte Spaziergänger:innen an die Dualität der Natur erinnern – an ihre friedliche Schönheit, aber auch an ihre wilde Unberechenbarkeit. Ein Symbol für Ruhe in einer oft lauten Welt.

Doch Ende Juni 2024 ahnte ich nicht, dass die Taube nur für kurze Zeit dort verweilen würde.

Am 11. August 2024 um 20:17 Uhr erreicht mich folgende Nachricht aus Brienz: 

"Guata Abed Janine. I han gse dass dini Tuba awäg isch. hesch schi weg macha gla?"

Meine Antwort: Nein. Die Milibachtaube war davongeflogen. Ob sie gestohlen wurde oder den Platz eigenständig verlassen hat, bleibt unklar. 

Doch keine 24 Stunden später ereignete sich das Unfassbare: Der Milibach trat am 12. August 2024 über die Ufer und riss alles mit sich – Steine, Bäume, Brücken und den alten Stahlträger, auf welchem die Milibachtaube saß. Die Idylle wurde von unbändiger Wildheit zerstört.

Die Milibachtaube wird nicht Teil der Friedenstauben-Jubiläumsausstellung sein. 

Ihre Geschichte jedoch lebt für mich weiter – als Symbol für die Zerbrechlichkeit von Frieden und die Macht der Natur, die uns Demut lehrt. 

Überreste des kleinen Brückleins, an dem ich eine Tafel mit Informationen über die Milibachtaube angebracht hatte.


Vor dem Unwetter: von der Brücke aus sah man hinunter zum Stahlträger, auf welchem die Milibachtaube sass.


JANINE ROGEN

Sculptor | Bildhauerin

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@janinerogen